Mental Load – Wie die „Last des Drandenkens“ Frauen erdrückt
Shownotes
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Sind Suchterkrankungen bei Frauen stigmatisierter? In der Folge "Mental Load“ sprechen wir offen über Frauengesundheit, psychische Erkrankungen und Sucht. Gemeinsam mit Prim.a Dr.in Eleonore Miller-Reiter von den Psychosozialen Diensten in Wien und Dr.in Barbara Schreder-Gegenhuber von der Gesundheitsgreisslerei beleuchten wir Mehrfachbelastungen, gesellschaftliche Erwartungen und genderspefizische Behandlungsangebote. Frauengesundheit und psychische Gesundheit gehen Hand in Hand.
Links zur Folge:
Gesundheitsgreisslerei: https://diegesundheitsgreisslerei.at/
Feminale - 30 Tage Frauengesundheit (Stadt Wien): https://www.feminale.at/
PSD-Wien https://psd-wien.at/
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Produktion und Redaktion: Sucht- und Drogenkoordination Wien
Jingle und Musik: Alfred Peherstorfer
Transkript anzeigen
: Alexandra: Hallo. Es ist wieder so weit: Rauschzeit. Wir sprechen offen über Substanzen, Konsum und psychische Gesundheit. Gemeinsam mit Menschen, die sich auskennen. Wir wollen uns informieren und Vorurteile abbauen. Und wir sind uns sicher, dass wir damit nicht alleine sind.
00:00:18: Alexandra: Heute mit mir, Alexandra
00:00:20: Natalia: und mit mir Natalia.
00:00:23: Alexandra: Wir sprechen heute auch über Themen, die von manchen Menschen als belastend empfunden werden. Mehr Infos zu dieser Folge findest du in den Shownotes. Wenn du dir unsicher bist, höre sie ein anderes Mal oder nicht alleine.
00:00:40: Alexandra: Liebe Natalia, ich starte heute in diese Podcastfolge einmal mit einer ganz persönlichen Frage an dich. Es ist nämlich auch eine Folge mit einem Thema, das uns persönlich am Herzen liegt. Und zwar: Warst du denn schon einmal von einem Vorurteil betroffen?
00:00:55: Natalia: Ja, nicht nur einmal. Aber wenn ich daran denke, dann glaube ich, dass es ganz, ganz häufig mit meinem Aussehen zu tun hat. Als Frau, als junge Frau, also auch, ich bin blond und blauäugig. Und ich habe das Gefühl, das schreibt mir schon eine Rolle zu. Und ich musste mich immer, gerade wenn es um Leistung geht, immer anders beweisen, als es vielleicht Burschen mussten. Und bei mir war es so, dass ich mit 13 Social Media begonnen habe zu nutzen. Und auf Social Media sind mir ja dann auch diese Rollenbilder, wie eine Frau auszusehen hat oder wie sie sich zu benehmen hat, immer mehr begegnet. Und mit 13 wusste ich aber auch noch nicht, was das mit mir macht. Und du hast das Gefühl, du musst dann so sein. Und ich habe das Gefühl, ich kämpfe noch immer bissl damit. Ja. Es ist gar nicht so leicht, aus diesen Rollenklischees rauszukommen. Aber wie war das bei dir? Kennst du das Gefühl?
00:01:51: Alexandra: Ja, ich teile diese Erfahrungen. Also ich teile diese Erfahrungen, dass sich Vorurteile aufgrund meiner Geschlechts- bzw Genderidentität zugeschrieben bekommen habe. Und ich teile auch die Erfahrung, dass ich als Mädchen oft in der Situation war, dass mir Menschen Dinge nicht zugetraut haben und ich mir persönlich dadurch auch Dinge nicht zugetraut habe. Ich hatte aber das große Glück, dass ich schon sehr früh sehr viele Vorbilder hatte, die den Rollenklischees oft nicht entsprochen haben, die dagegen aufgetreten sind, die mir auch Feminismus nähergebracht haben. Also ich sehe das als großes Glück. Aber Natalia, warte mal, wie hängt das jetzt mit unserer Folge heute zusammen?
00:02:31: Natalia: Ja, wir sind heute hier, tatsächlich, um über Frauen und vor allem Frauengesundheit zu sprechen. Und dafür haben wir uns auch zwei Frauen eingeladen, die hoffentlich auch für uns alle Vorbilder sein können. Und zwar haben wir heute eine Expertin aus dem Suchtbereich. Das ist Frau Doktorin Magistra Barbara Schreder-Gegenhuber und eine Expertin aus dem Bereich psychische Erkrankungen. Und das ist Frau Prime Doktorin Eleonore Miller-Reiter. Herzlich willkommen. Vielen Dank, dass ihr heute hier seid.
00:03:06: Dr.in Miller-Reiter: Danke für die Einladung.
00:03:08: Dr.in Schreder-Gegenhuber: Danke schön für die Einladung.
00:03:10: Natalia: Und ich möchte dann gleich einmal beginnen. Liebe Eleonore, magst du dich einmal vorstellen, in welcher Position du bist, was du machst und wer du bist?
00:03:19: Dr.in Miller-Reiter: Ich bin stellvertretende Chefärztin der Psychosozialen Dienste in Wien. Das bedeutet, ich unterstütze den Chefarzt in allen Belangen des Managements dieses größten psychosozialen Versorgers Wien-weit. Im Prinzip etwas Einzigartiges, auch europaweit, weil wir in regionalisierten Ambulatorien sowohl für Erwachsene als auch Jugendliche, für alte Menschen, also quasi von vom von der Wiege bis zum Lebensende begleiten, behandeln, betreuen und mittlerweile auch eben sehr viele Präventivprojekte gestartet haben.
00:03:58: Natalia: Vielen Dank! Darauf werden wir noch genauer zu sprechen kommen, welche Angebote es gibt. Liebe Barbara, magst du dich vorstellen, wer du bist und was du machst?
00:04:09: Dr.in Schreder-Gegenhuber: Ja, ich bin Geschäftsführerin vom Schweizer Hadersdorf. Das ist eine Einrichtung für Behandlung bei Abhängigkeitserkrankungen. Sowohl Alkohol als auch illegalisierte Substanzen. Und ich bin vom Grundberuf her Klinische und Gesundheitspsychologin. Also bin ich als Geschäftsführerin schon so für das Management und die administrativen Dinge und die Verwaltung zuständig. Aber von meinem Grundberuf her natürlich auch so für die Weiterentwicklung der Angebote, die wir in der Einrichtung haben.
00:04:35: Alexandra: Wir haben ja heute das Thema Frauengesundheit. Die Stadt Wien hat den November 2024 zum Frauengesundheitsmonat erklärt, mit der Feminale. Warum ist denn Frauengesundheit so ein wichtiges Thema?
00:04:49: Dr.in Miller-Reiter: Ich denke, wie ihr beide vorher schon gesagt habt, ist es noch immer leider so, dass viele Belange von Frauen nicht so wichtig und so im Vordergrund gesehen werden, wie allgemein gesellschaftliche oder die, zum Beispiel, medizinischen Belange von Männern. Es ist eine Tatsache, dass noch immer alle Medikamente oder der Großteil der Medikamente an männlichen Personen getestet wird. Das hat einfach praktische Gründe. Hat aber Auswirkungen auf die Frauen. Deshalb finde ich es besonders sinnvoll, da auch mal näher hinzuschauen, was Frauen brauchen.
00:05:27: Alexandra: Ich habe mir in der Vorbereitung zu dieser Folge den Satz „Frauengesundheit und psychische Gesundheit gehen Hand in Hand“ aufgeschrieben. Gibt es da im Bezug auf psychische Gesundheit bestimmte Themen, die Frauen betreffen?
00:05:40: Dr.in Miller-Reiter: Gesundheit und psychische Gesundheit geht immer Hand in Hand. Und ja, es gibt natürlich bestimmte Themen, die bei Frauen jetzt häufiger in den Vordergrund kommen. Essstörungen zum Beispiel. Hat auch viel mit dem Frauen Selbstbild, Social Media, Instagram usw. zu tun. Depressionen. Wobei da ist es eher so, dass vielleicht die Häufigkeit der Diagnosestellung bei Frauen häufiger ist als bei Männern eher als die echte Erkrankung selber. Natürlich leiden Frauen als Gewaltopfer besonders häufig unter diversesten, auch komplexen posttraumatischen Belastungsstörungen, also Gewalt ist etwas, was auch Frauen besonders stark betrifft und auch nicht gerade gesundheitsförderlich ist.
00:06:26: Natalia: Liebe Barbara, vielleicht magst du dazu auch was ergänzen. Teilt ihr diese Beobachtungen bei euch im Suchtbereich? Gibt es da Themen, die irgendwie mehr sichtbar sind?
00:06:39: Dr.in Schreder-Gegenhuber: Ja, ganz sicher. Das Thema Gewalt ist sicher ein Thema, das bei auch von Sucht betroffenen Frauen auch ein großes ist. Wir wissen, dass ganz viele Frauen, die an einer Abhängigkeitserkrankungen leiden, körperliche Gewalt in ihrem Leben erfahren haben, sexuelle Gewalt erfahren haben. So. Die genauen Zahlen kennt man nicht aufgrund der Dunkelziffer, aber es sind wahrscheinlich um die zwei Drittel der abhängigkeitserkrankten Frauen, die Gewalterfahrung haben. Was auch ein Thema ist, auch immer wieder in der Behandlung bei uns Thema ist, sind Mehrfachbelastungen durch Erwerbsarbeit, durch die Pflege und die Betreuung von Familienangehörigen, Kindern usw., die einfach zu einer relativ hohen Belastung im Alltag führen.
00:07:22: Alexandra: Ich habe jetzt schon den Begriff Mehrfachbelastung gehört. In der Vorbereitung habe ich auch immer wieder von Mental Load gelesen. Ist das dasselbe?
00:07:31: Dr.in Schreder-Gegenhuber: Na ja, Mental Load betrifft meiner Ansicht nach ein bisschen mehr das, alles, was an Planungs- und Denkarbeit auch mit da mit diesen Betreuungs- und Pflegepflichten verbunden ist. Also so eine ständige To-Do-Liste, die nie leer wird, kann man auch sagen. Also alles das, wo man denken, planen muss. Was kriegen die Kinder als Jause mit in die Schule? Was ist noch im Kühlschrank, was man noch nachkaufen muss? Welchen Adventkalender kaufen wir? Also so ständiges Mitdenken von Bedürfnissen und Bedarfen, die so rund um das eigene Umfeld, familiäre Umfeld, Angehörige geht.
00:08:06: Natalia: Und Mehrfachbelastungen wären jetzt konkret die Belastungen, die auf eine Frau zutreffen. Das könnte zum Beispiel. Pflegende Angehörige sein und, und, und.
00:08:15: Dr.in Schreder-Gegenhuber: Pflegende Angehörige, das Kümmern um Haushalt, Familie, Kinder. Es ist jetzt… Gestern habe ich in der Zeitung gelesen - Also das sind die Zahlen, glaube ich, von 2023 - von der Statistik Austria gibt es so eine Zeitverwendungsstudie und da wird die-- wird gezeigt, dass auch Frauen, selbst wenn sie erwerbstätig sind, noch immer bis zu zwei Drittel dieser Care Arbeit, also dieser Pflege und Betreuung von Angehörigen tragen. Also wir sind noch weit entfernt von fifty-fifty, was schon vor 30, 40 Jahren gefordert wurde. Frauen sind immer mehr berufstätig, immer mehr auch in verantwortungsvolleren, auch stressigen Jobs tätig und tragen noch immer einen Großteil dieser Belastung, die durch Familie, Haushalt und Pflege von Angehörigen anfällt.
00:09:02: Alexandra: Das sind jetzt alles Bereiche, die treffen zu einem großen Teil erwachsene Frauen. Gibt es solche Mehrfachbelastungen, gibt es diese Themen auch schon bei jungen Frauen oder bei Mädchen?
00:09:13: Dr.in Schreder-Gegenhuber: Also ich würde denken, wenn ich in einer Familie bin, wo sich auch die Kinder um die anderen Kinder kümmern, werden das wahrscheinlich auch eher die Mädchen sein. So genaue Zahlen gibt es da nicht dazu, die Zeitverwendungsstudie ist ja eine Untersuchung an Frauen und jungen Frauen. Ja, genaue Zahlen dazu kenne ich aber nicht.
00:09:28: Natalia: Womit wahrscheinlich junge Mädchen auch belastet werden sind ja jetzt das, was wir am Anfang angesprochen haben, schon die Rollenbilder nehme ich an, also tatsächlich dieses Rollenbild was es gibt vielleicht von der Frau, die dann care-Arbeit usw. übernimmt, kann ja auch wahrscheinlich schon ein Stressfaktor-- Für mich als junge Frau ist es tatsächlich ein Stressfaktor. So persönlich muss ich sein, dass ich mir schon denke: Okay, wenn ich irgendwann einmal Kinder haben will, wie bekomme ich das alles unter den Hut? Und man denkt in erster Stelle: Okay, man ist da alleine, irgendwie, als Frau muss man alles unter den Hut bekommen. Vielleicht noch zum Thema Mental Load, weil das zu oft vorkommt und zu den Mehrfachbelastungen. Ist das ein Grund oder ist das oft Ursache auch für psychische Erkrankungen? Ist das dann in der Behandlung oft Thema? Wie-- Wie ist es in der Praxis?
00:10:18: Dr.in Miller-Reiter: Ein Einzelgrund für eine psychische Erkrankung gibt es eigentlich gar nicht und insofern ist auch Stress als Auslöser maximal verantwortlich. Aber da ist es ein sehr häufiger Auslöser und natürlich Mental Load, Mehrfachbelastungen, das sind alles Stressfaktoren, die sich auch stark auswirken können.
00:10:39: Natalia: Wie arbeitet man dann in der Praxis mit den Frauen, die davon betroffen sind? Was, was sind da dann die Hilfsangebote oder Ansätze?
00:10:48: Dr.in Miller-Reiter: Das ist vielleicht auch ein Faktor, den du zuerst schon angesprochen hast. Man muss natürlich bei Frauen, wenn sie in diesen mehrfachbelasteten Rollen sind, das auch einmal akzeptieren und die Hilfsangebote so stellen, dass sie überhaupt nützlich werden, ohne dass sie den zusätzlichen Stressfaktor darstellen. Was mache ich mit meiner Oma allein zu Hause, während ich ein ergotherapeutisches Angebot annehme? Das muss zusammenpassen.
00:11:17: Natalia: Das heißt, genderspezifische Angebote in der Behandlung sind sinnvoll?
00:11:23: Dr.in Schreder-Gegenhuber: Auf jeden Fall, ja. Also ich glaube sowohl bei anderen psychischen Erkrankungen, aber auch bei Suchterkrankungen gibt es immer genderspezifische Aspekte, die zur Entstehung oder auch zur Aufrechterhaltung der Sucht beitragen. Insofern muss dem auch so begegnet werden und müssen diese Themen wie Gewalterfahrungen, Mental Load usw. in der Behandlung natürlich auch angesprochen werden, thematisiert werden.
00:11:46: Alexandra: Das Stichwort „angesprochen werden und thematisiert werden“, das nehme ich ganz gerne auf, weil das ist etwas, was wir in diesem Podcast immer wieder machen, dass wir sagen, wo sind die Themen, die wir noch ansprechen müssen, die noch nicht zur Genüge beleuchtet worden sind und wo können sie noch besser beleuchtet werden? Wir haben am Anfang schon darüber geredet und es kam jetzt wieder das rund um das Thema Frauengesundheit auch sehr viel Stigma, also Vorurteilen, Zuschreibungen, und Tabus herrschen. Ist das beim Thema psychische Gesundheit bei Frauen, also von Frauen, besonders stark dieses Stigma?
00:12:23: Dr.in Miller-Reiter: Da würde ich jetzt keinen besonderen Unterschied zwischen Frauen und Männern oder welches Geschlecht auch immer machen. Ich glaube, dass die Stigmatisierung leider von psychischen Erkrankungen immer noch insgesamt ein Thema ist, aber nicht jetzt Gender-spezifisch.
00:12:40: Dr.in Schreder-Gegenhuber: Dem würde ich auf jeden Fall zustimmen. Wir merken bei Suchterkrankungen aber, dass es darüber hinaus schon ein bisschen einen genderspezifischen Aspekt gibt, weil Suchterkrankung so was typisch Männliches eigentlich ist. Also ungefähr zwei Drittel bis drei Viertel der an einer Abhängigkeit erkrankten Menschen sind männlich. Und wenn man so weit zurückschaut in die Geschichte, so letztes Jahrhundert, 1960er, 70er Jahre: Wer war damals in den Bars, hat Alkohol getrunken? Es waren die Männer. Es war der öffentliche Alkoholkonsum, ganz lange Zeit nur Männern vorbehalten und Frauen waren in den Bars, weil sie gekellnert haben oder weil sie zur Belustigung der Männer gedient haben. Also Frauen ist auch so geschichtlich-- Geschichtlich betrachtet ist auch der öffentliche Konsum von Alkohol oder anderen Substanzen viel stigmatisierter. Und wir sehen das auch in der Behandlung, dass die Frauen, die von einer Abhängigkeit betroffen sind, ganz häufig mit Scham Schuld, und ich glaube schon noch ein Stückchen mehr als Männer, betroffen sind.
00:13:40: Natalia: Danke, dass du das ansprichst, weil das ist ja tatsächlich auch, wieso wir uns hier heute treffen, um auch über Suchterkrankungen bei Frauen zu sprechen. Sucht ist ja grundsätzlich noch eine sehr stigmatisierte Erkrankung in unserer Gesellschaft. Und es ist wichtig, dass du sagst, es ist bei Frauen ja noch einmal ein Stückchen mehr wahrscheinlich durch diese Rollenklischees, diese Erwartungen, die es halt gibt, seit langem in unserer Gesellschaft so ist. Welche Unterschiede beobachtest du da? Konsumieren Frauen anders? Geht es da um andere Substanzen, andere Motive?
00:14:10: Dr.in Schreder-Gegenhuber: Ganz viele Unterschiede. Also es gibt wenig, was ähnlich ist. Es gibt ganz viele Unterschiede, zum Einen in der Anzahl der Menschen, die an einer Abhängigkeitserkrankung-- davon betroffen sind, aber auch in den Motiven des Konsums. Ich finde es ganz interessant, weil vorher, war da schon das Thema, so, Rollen und Geschlechtserwartungen angesprochen wurde. Wenn man sich das auf den Alkoholkonsum bezogen ansieht, dann gibt es so eine Idee von der sozialen Konstruktion des Geschlechts durch den Konsum. „Doing gender with drugs“ heißt das auch, das heißt Männer konsumieren, um Risikobewusstsein zu demonstrieren, um Stärke zu demonstrieren, um-- Ja, wenn ich viel vertrage dann bin ich ein echter Mann. Also so was ist ja auch mit männlichen Rollenklischees verbunden. Ist im Übrigen auch nicht einfach für die Männer, das immer erfüllen zu müssen. Aber für Frauen ist es schon ein Stückchen anders. Oder Frauen konsumieren in der Öffentlichkeit-- haben ganz lange nicht in der Öffentlichkeit nicht konsumiert. Es hat sich jetzt schon auch ein bisschen geändert, aber es ist trotzdem noch der öffentliche Alkoholkonsum und Drogenkonsum ein Stückchen mehr stigmatisiert als der von Männern. Deswegen: Frauen konsumieren in der Regel heimlicher, eher Substanzen, die so vermeintlich als risikoärmer gelten, obwohl sie es gar nicht sind, aber die so vermeintlich als risikoärmer gelten, um auch so den Alltag aufrechterhalten zu können. Eben auch der Care-Arbeit, der Sorgearbeit weiter nachgehen zu können. Einfach alle Verpflichtungen weiter zu erfüllen können, die an einen gestellt werden.
00:15:42: Alexandra: Welche Probleme gehen einher mit diesem eher versteckteren Konsum?
00:15:46: Dr.in Schreder-Gegenhuber: Es hat erstens was damit zu tun, wie Frauen sich dann noch einmal ein Stück mehr für die Erkrankung schämen. Also ,dass das so nicht öffentlich, also im Privaten stattfindet, also heimlich stattfindet, dass es keiner mitkriegt und um weiter irgendwie halbwegs funktionieren zu können. Und es hat schon noch was mit dem Blick der Gesellschaft auf die Betroffenen zu tun, ob ein Mann in der Öffentlichkeit betrunken ist oder eine Frau, das ist ein wesentlicher Unterschied.
00:16:11: Natalia: Wir haben jetzt auch schon öfter Behandlung angesprochen, aber noch gar nicht so konkret darüber gesprochen, was es so gibt für Frauen, die zum Beispiel auch unter Suchterkrankungen leiden. Wir haben aber gesagt, genderspezifische Angebote sind wichtig, weil natürlich man immer an der Lebensrealität der Personen ansetzen muss und Angebote zielgruppenspezifisch gestalten muss. Wie sieht das aus? Welche Angebote gibt es da im Suchtbereich und worauf ist zu achten? Welche Unterschiede gibt es in der Behandlung von Männern und Frauen?
00:16:44: Dr.in Schreder-Gegenhuber: Die unterschiedlichen Entstehungsbedingungen und die unterschiedlichen Aufrechterhaltungsbedingungen von weiblicher Suchterkrankung müssen natürlich auch in der Behandlung besonders betrachtet werden. Und wir wissen schon auch aus Untersuchungen, aber auch so aus der Erfahrung mit den Frauen, die wir betreuen, dass es ihnen häufig schwerer fällt, in Suchthilfeeinrichtungen zu gehen, wenn die so männlich dominierte Orte sind. Es sind einfach viel mehr Männer von einer Abhängigkeitserkrankung betroffen. Und wenn ich als Frau in eine Suchthilfeeinrichtung gehe und das Wartezimmer schon besetzt ist mit vielen Männern, die dort sitzen und ich selber Gewalterfahrungen habe und sexuelle Gewalterfahrungen mit Männern habe, ist es naheliegend, dass es für mich schwieriger ist, dort hinzugehen und auch dort offen über meine Probleme zu sprechen.
00:17:26: Natalia: Also es geht ganz viel darum, einen sicheren Ort, einen Safe Space für Frauen zu schaffen.
00:17:32: Dr.in Schreder-Gegenhuber: Es geht zum einen um einen sicheren Ort, aber es geht ganz viel auch um die, die-- das Ansprechen und das Behandeln der Besonderheiten der weiblichen Suchterkrankung. Und es geht ganz viel um Solidarität und um’s Miteinander. Zu merken, dass ich nicht die Einzige bin, der es so geht. Und dass ganz viele andere Frauen gibt, die in einer ähnlichen Situation sind und die ähnliche Schwierigkeiten damit haben.
00:17:54: Natalia: Jetzt haben wir eben über spezifisch über Suchterkrankungen geredet. Wie ist es bei anderen Erkrankungen? Gibt es auch bei den Psychosozialen Diensten in Wien-- beschäftigt man sich da mit genderspezifischen Angeboten oder ist es kein Thema? Wie sieht es da aus?
00:18:10: Dr.in Miller-Reiter: Wir im PSD sind schon sehr gendersensitiv. Es ist sogar jetzt vor kurzem bei einer Mitarbeiter*innen-Befragung thematisiert worden, dass auch die Mitarbeiter darauf sehr viel Wert legen und das auch konkret so wahrnehmen, dass wir das tun. Ich denke, dass das Wichtigste ist, individuell zentriert Behandlungen anzubieten. Somit ist es dann auch Frauen-spezifisch, wenn es Frauen-spezifisch ist, Transgender-spezifisch, wenn das notwendig ist. Und so weiter und so fort. Aber es gibt einige Aspekte, die halt Frauen besonders nützlich sind, um Behandlung annehmen zu können. Das Eine ist der medizinische: Dass es natürlich unser Fachpersonal sehr genau nimmt mit den unterschiedlichen, auch medikamentösen Wirkungen, mit den Wechselwirkungen mit dem weiblichen Hormonzyklus, wie der sich auswirkt auf die-- auf die Aufnahme und auf die Verstoffwechselung von Medikamenten, Schwangerschaft, peripatal, also Erkrankungen, die rund um die Schwangerschaft und Geburt auftreten. Für die muss man spezifisch geschult sein, da muss man Expert*in dafür sein. Und das haben wir natürlich. Das andere ist das, was ich zuerst gesagt habe, dass es Angebote gibt: Selbstverständlich haben wir in allen Ambulatorien irgendwelche Kinderecken, wo also Menschen, die, die eben Kinder mitnehmen - und das sind glücklicherweise auch nicht immer nur Frauen - auch die Möglichkeit haben, dass die Kinder auch irgendwie bissl abgelenkt sind. Und ja, also diese, so Kleinigkeiten, eigentlich die, die die Behandlungsannahme vereinfachen.
00:19:55: Alexandra: Von der Behandlung einen Schritt zurück zur Prävention. Wie kann denn Prävention bei Mädchen bei jungen Frauen ausschauen?
00:20:04: Dr.in Miller-Reiter: Ich denke, dass alles, was das Ich und das Selbstbewusstsein stärkt und fördert und die individuelle klare Entscheidungsfähigkeit ist gut. Also alles, was Kinder dazu bringt, mit sich selbst zufrieden zu sein, sich in einem geschützten Umfeld zu fühlen und auch mal Nein sagen zu dürfen, aber dann auch Kontra zu bekommen, argumentieren zu können, das hilft und hilft gegen alles im Grunde genommen, im weiteren Leben.
00:20:39: Alexandra: Und im Suchtbereich gibt es da spezifische Ergänzungen?
00:20:43: Dr.in Schreder-Gegenhuber: Ich kann mich da nur anschließen. Also das ist-- was im Suchtbereich vielleicht dazu kommt ist eine Risikokompetenz auch zu erwerben. Das heißt auch über Substanzen Bescheid zu wissen, über Wirkungen Bescheid zu wissen, auch über die spezifischen Risiken, also Bescheid zu wissen, also seine suchtspezifische Risikokompetenz. Aber ansonsten wirklich auch Selbstwert, Selbstsicherheit, sich so anzunehmen, wie man ist, sich zu lieben, so wie man ist und das auch zu lernen, sich damit zu beschäftigen, ist wahrscheinlich für die Prävention von allen psychischen Erkrankungen sehr wichtig.
00:21:15: Natalia: Ja, vielleicht stelle ich am Schluss noch eine ein bisschen vielleicht auch persönliche Frage, aber es würde mich interessieren. Ihr seid ja beide in Leitungspositionen auch. Das kann verbunden sein mit viel Stress. Andererseits ist es auch eben so eine Vorbildfunktion für junge Mädchen. Gibt es irgendwelche Tipps, die ihr aus eurer Rolle heraus auch jungen Mädchen mitgeben wollt?
00:21:38: Dr.in Miller-Reiter: Es geht sich nicht alles auf einmal aus.
00:21:40: Alle: Lachen.
00:21:42: Natalia: Das zu akzeptieren ist wichtig. Prioritäten setzen.
00:21:46: Dr.in Miller-Reiter: Ich möchte da gern dazu anschließen. Damit meine ich im Detail dann solche Dinge wie: Man kann nicht gleichzeitig perfekt gepflegt, schön sein, stillende Mutter mit einem Säugling und auf einem Podium voll konzentriert ein großartiges Statement abgeben. Also man kann nicht alles gleichzeitig machen und spezifisch auch frau kann nicht alles gleichzeitig machen. Es geht darum, sich auch zugestehen zu können, was sich nicht ausgehen kann. Und das ist zum Beispiel nicht gleichzeitig möglich, die stillende Mutter zu sein und perfekt wie diese Glamour-Mütter, die, Gott weiß wer die retouchiert, unmittelbar nach der Geburt mit ihren perfekt-- ebenso perfekt gestylten Babys irgendwo her grinsen, das ist nicht real. Und das soll sich frau auch gar nicht wünschen oder vornehmen, das zusammenzubringen in dem Ausmaß.
00:22:44: Dr.in Schreder-Gegenhuber: Ich würde noch ergänzen: Lasst euch nichts gefallen. Und damit meine ich eigentlich, dass man sich nichts vorschreiben lassen soll von der Gesellschaft, von irgendwelchen tradierten Rollenbildern. Wer ich zu sein habe, was ich zu machen habe. Von Social Media nicht vorschreiben zu lassen, wie ich auszusehen habe. Sondern wir leben ja Gott sei Dank in einem Land, wo jeder, jede*r und jede sein kann und lieben kann, wie man möchte. Und ich finde, das muss man sich immer wieder bewusstmachen.
00:23:16: Natalia: Ja, ganz wichtig. Also ich nehme eure Tipps sehr gerne auf, weil ich sehe es genauso. Und ich glaube ganz, ganz wichtig, das möchte ich jetzt noch ansprechen ist sich dem bewusst zu sein auf Social Media. Also ich glaube auch, dass Social Media uns das alles noch einmal vorhält und eben diese perfekten, perfekt gestylten Mütter. Das ist nicht realistisch und ich glaube, das ist ganz wichtig, auf sich zu schauen, online, und zu schauen, was tut mir gut, wem folge ich und was macht es mit mir? Und sich da auch ein bisserl aus diesen Rollenbildern zu entfernen. Aber zu dem Thema Social Media werden wir tatsächlich noch eine Folge haben in diesem Podcast hier, wo wir uns ganz genau damit befassen, was Social Media mit uns macht und wie wir es gesund konsumieren können.
00:24:05: Alexandra: Ich habe die Tipps wirklich auch sehr gerne gehört und nehme sie sehr zu Herzen und kann da auch nur unterstreichen, dass wir das durch alle Altersgruppen hindurch uns vielleicht auch noch einmal zu Herzen nehmen. Ja, vielen Dank, dass die Einladung heute angenommen wurde, dass wir heute so ein spannendes Thema besprechen durften, dass wir wirklich auch so ein wichtiges Thema besprechen durften. Und ich bedanke mich auch bei Dir, Natalia, für deine Offenheit ganz am Anfang der Folge. Und ja, liebe Zuhörer*innen, liebe Zuhörer, bitte hört wieder rein, wenn es wieder heißt: Es ist Rauschzeit.
00:24:44: Alexandra: Es rauscht weiter, hör in die nächste Folge rein und besuch uns gerne auf Instagram @_rauschzeit_ oder @darüberredenwir. Reden hilft. In Wien ist die Sorgenhotline Wien für jede Art von Sorgen zwischen 8.00 und 20.00 Uhr erreichbar, notier dir die Nummer: 01/4000 53000.
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