Vorurteile und psychische Erkrankungen – Break the Stigma

Shownotes

Schnelle und unkomplizierte Hilfe ist oft nur einen Anruf entfernt. Nutzen wir sie, wenn wir oder unsere Freund*innen sie brauchen! Du bist nicht allein - wenn du Hilfe brauchst, melde dich.

01 31330 - der Psychiatrische Notdienst des PSD-Wien ist 24 Stunden an jedem Tag erreichbar.
Wenn du in einer Krise steckst, kannst du auch das Kriseninterventionszentrum Wien (10-17 Uhr) unter 01 406 9595 kontaktieren.
Der First Level Support beratet und informiert junge Menschen und ihr Umfeld bei psychiatrischen und psychosozialen Belastungen unter der Nummer 01/31330 bzw. unter der E-Mail Adresse fls@psd-wien.at.

Was bedeutet Stigma? Heute ist Hannah Frisch von Change for the Youth und Ela Mach von den Psychosozialen Diensten in Wien zu Gast. Diese Folge könnt ihr auch als Video auf YouTube ansehen! Wir beleuchten, was Stigma eigentlich ist, wie es uns und Betroffene beeinflusst und wie Anti-Stigma-Arbeit im eigenen Umfeld, in Schulen, der Politik und der Gesellschaft aussehen kann. Mit BASTA lassen wir uns von Ela ein Projekt vorstellen, das Erfahrungsexpert*innen an Schulklassen bringt. Hannah berichtet, wie Change for the Youth aufgebaut ist, welche Bedürfnisse die jungen Aktivist*innen antreiben und welche Herausforderungen sie begleiten.

Links zur Folge:
Change for the Youth: https://www.changefortheyouth.at/
Change for the Youth auf Instagram: https://www.instagram.com/changefortheyouth
BASTA auf darueberredenwir.at: https://darueberredenwir.at/basta/
Die Folge auf YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=sacyCa82MRQ

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Psychische Gesundheit ist wichtig. Darüber zu reden auch. Wenn es dir nicht gut geht, zögere nicht, dir Hilfe zu holen.

Reden hilft: In Wien ist die Sorgenhotline Wien für jede Art von Sorgen zwischen 8 und 20 Uhr erreichbar: 01/4000-53000. Im Krisen- und Notfall steht der Sozialpsychiatrische Notdienst (SND) in Wien rund um die Uhr unter der Rufnummer 01/31330 zur Verfügung.


Produktion und Redaktion: Sucht- und Drogenkoordination Wien
Jingle und Musik: Alfred Peherstorfer

Transkript anzeigen

00:00:02: Alexandra: Hallo. Es ist wieder so weit. Rauschzeit. Wir sprechen offen über Substanzen, Konsum und psychische Gesundheit. Gemeinsam mit Menschen, die sich auskennen. Wir wollen uns informieren und Vorurteile abbauen. Und wir sind uns sicher, dass wir damit nicht alleine sind.

00:00:19: Viki: Heute mit mir, Viki.

00:00:20: Moritz: Und mit mir, Moritz.

00:00:23: Alexandra: Wir sprechen heute auch über Themen, die von manchen Menschen als belastend empfunden werden. Mehr Infos zu dieser Folge findest du in den Shownotes. Wenn du dir unsicher bist, höre sie ein anderes Mal oder nicht alleine.

00:00:40: Moritz: Hallo liebe Leute, heute sprechen wir mit Ela Mach von den Psychosozialen Diensten in Wien und Hanna Frisch von Change for the Youth offen über unsere Fragen rund um die Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen und wollen wissen, wie Anti-Stigma-Arbeit in Schulen und in der Gesellschaft aussehen kann. Wir fragen uns, wie Platz für Betroffene geschaffen werden kann, um sich stark zu machen und Stigma zu bekämpfen.

00:01:03: Viki: Hallo, auch von meiner Seite. Übrigens, diese Folge könnt ihr nicht nur anhören, sondern auch auf YouTube anschauen, falls euch das lieber ist. Genau. In der zweiten Staffel von Rauschzeit geht es immer wieder um Tabus, die rund um psychische Erkrankungen bestehen. Und heute wollen wir uns damit auseinandersetzen, was Stigma genau bedeutet und wie eine Stigmatisierung aussehen kann. Genau. Vielleicht stellen wir gleich mal unsere Gäste heute vor. Ela, möchtest du vielleicht beginnen?

00:01:31: Ela: Sehr gerne. Danke für die Einladung. Also, mein Name ist Ela. Mach. Ich arbeite bei den Psychosozialen Diensten in Wien und mein Grundberuf ist psychiatrische Gesundheits- und Krankenpflegerin. Und ich bin auch Psychotherapeutin in Ausbildung. Das heißt, ich praktiziere in freier Praxis. Und ja, meine Pronomen sind she/her.

00:01:48: Hannah: Mein Name ist Hannah Frisch. Ich bin Mitglied bei Change for the Youth. Eigentlich habe ich mit psychischen Erkrankungen, außer als Selbstbetroffene beruflich jetzt nicht wirklich was zu tun. Ich bin eigentlich in der IT Branche, so, also was ganz anderes irgendwie. Aber ja, ich bin seit der Gründung der Organisation dabei und versuche eben möglichst viel, vor allem Öffentlichkeitsarbeit für die Organisation zu machen.

00:02:10: Moritz: Möchtest du uns vielleicht kurz erklären, was ihr bei Change for the Youth so macht?

00:02:16: Hannah: Wir haben drei Säulen, in die wir unsere Arbeit untergliedern. Auf der einen Seite haben wir die Anti-Stigma-Arbeit, um die es auch heute hier geht. Dann haben wir Lobbying, also unsere Interaktionen mit der Politik und mit Entscheidungsträger*innen. Und dann haben wir noch den Aktivismus, wo wir Demonstrationen machen, wo wir Flyer aufhängen, solche Sachen.

00:02:34: Moritz: Cool. Dann eh. Das Wort Stigma ist jetzt schon ein paar Mal gefallen. Ich finde solche Wörter, die man eh schon tausendmal gehört hat, immer ein bisschen schwierig, weil so wirklich greifbar ist es dann ja nicht, oder, mir selbst fällt es dann immer schwer, wenn ich jetzt jemand fragen würde: Jo Moritz, was ist Stigma? Das jetzt so Runterzubrechen würde mir jetzt nicht so gelingen. Deswegen. Wie kann man den Begriff Stigma erklären?

00:02:58: Ela: Ja. Danke Moritz, für deine Frage, weil da gibt es irgendwie ganz ganz viele Definitionen. Aber wenn wir es so ganz knapp runterbrechen würden, dann wäre das die Zuschreibung negativer Eigenschaften zu einer Gruppe oder zu einer Person aufgrund von gewissen Merkmalen. Also ihr kennt zum Beispiel Sexismus, ihr kennt Rassismus. Jetzt haben wir keinen „Ismus“ für psychische Erkrankung, aber auch da gibt es Stigmatisierung und es ist auch ganz spannend. Es gibt verschiedene Arten von Stigmatisierung. Also es gibt nicht nur die eine Form der Stigmatisierung, sondern da gibt es verschiedene Unterkategorien. Was wir sagen können, ist, wenn es um die Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen geht, dass die ganz, ganz grausliche Auswirkungen für die Betroffenen hat, aber auch für die Gesellschaft als Ganzes.

00:03:37: Viki: Du hast jetzt eh schon erwähnt, dass es grausliche Auswirkungen für betroffene Personen hat. Was könnte drunter fallen? Also, wie kann es betroffenen Personen damit gehen? Vielleicht möchtest du was dazusagen, Hannah?

00:03:49: Hannah: Das große Problem, was wir auch in der Community sehen, ist, dass man sich selber stigmatisiert und seine eigenen Erkrankungen. Das heißt den Betroffenen ist oft nicht bewusst, dass das, was sie erleben, Symptome einer Krankheit sind, die heilbar ist. Und das führt dann eben dazu, dass man sich selber stigmatisiert, dass man sich selber runtermacht. Und das ist eben das größte Problem, das wir sehen.

00:04:09: Viki: Ja, das heißt, es kann eigentlich so auf beiden Seiten sein, also einerseits gesellschaftlich, aber auch, natürlich auch durch die Gesellschaft, dass man sich dann selbst stigmatisiert.

00:04:16: Hannah: Genau.

00:04:17: Viki: Ok.

00:04:18: Ela: Genau. Ganz, ganz wesentlicher Punkt, den die Hannah da angesprochen hat. Es ist so, dass wir unterscheiden zwischen einer öffentlichen Stigmatisierung, also das, was wir als Gesellschaft so für ein Bild haben von Menschen mit psychischer Erkrankung. Es gibt die strukturelle Stigmatisierung, die finde ich auch ganz spannend. Da geht es zum Beispiel um unser Gesundheitssystem, da werden wir wahrscheinlich auch noch draufkommen. Also da geht es darum, wie schauen wir mit den Ressourcen aus. Also zum Beispiel: Bekommen wir einfach Psychotherapie. Wie schaut's aus mit Betten im Krankenhaus auf psychiatrischen Stationen? Die Struktur dahinter, so wie die Hannah gerade gesagt hat, diese Selbstigmatisierung, die für die Betroffenen wahrscheinlich noch das Allerschlimmste ist, weil all diese negativen Stereotype, die wir haben, die wir zum Beispiel als Kinder kennengelernt haben, wenn uns die Mama geschnappt hat – Wenn irgendwo ein Obdachloser auf der Straße ist, der vielleicht schon die Anzeichen gezeigt hat, dass dem psychisch nicht gut geht – und das Kind genommen hat und weggezerrt hat und sagt: Mit diesen Menschen sprechen wir nicht, dann kriegen wir da Bilder dazu in den Kopf. Und diese Bilder müsst ihr euch vorstellen, dass die einfach wirksam werden, sobald wir selbst die Vermutung haben, dass wir eine Diagnose haben. Sollte ich jetzt von mir selbst auf einmal die Idee haben: Vielleicht habe ich eine Depression, dann werden all diese Ideen, all diese Vorurteile auf einmal auf mich selbst wirksam. Das heißt, ich glaube dann zum Beispiel ich bin faul, ich bin selber daran schuld. Oder es gibt ohnehin keine Behandlung für mich.

00:05:34: Moritz: Man kann es sagen, so: Stigma = Scheiße. Und ihr beide seid ja dann tätig im Bereich Stigma zu vermindern und Anti-Stigma-Arbeit zu leisten. Wie kann ich mir das irgendwie vorstellen, so in deinem Arbeitsalltag oder bei dir im Alltag, im Projekt? Wie leistet man Anti-Stigma-Arbeit? Was macht ihr da so?

00:05:51: Ela: Ja, das ist so die gute Nachricht. Es gibt viele, viele verschiedene Arten, wie man Anti-Stigma-Arbeit leisten kann. Und ich finde den Aktivismus besonders großartig. Also hier an dieser Stelle auch ganz, ganz viel Danke an Change for the Youth und alle anderen Organisationen, die da draußen sind und auf die Straße gehen. Das ist jetzt nicht mehr meines. Also ich mache es tatsächlich in einer Struktur. Nichtsdestoweniger auch ganz wesentlich. Und ich leite Projekte, wo es um Entstigmatisierung geht. Das heißt, das eine wär ein Schulprojekt, das nennt sich BASTA. Da gehen wir an Schulen und versuchen, dort entstigmatisierend zu wirken. Und ich glaube, es gelingt uns ganz gut. Und das andere ist ein Ex-In-Genesungsbegleiter*innen-Projekt, wo wir schauen, dass Menschen mit Erkrankung, mit Erfahrungswissen, die eine Ausbildung haben, also sogenannte Erfahrungsexpert*innen bei uns im Unternehmen arbeiten. Also dass wir diese Menschen tatsächlich als wichtige Ressource endlich begriffen haben, damit wir diese Expertise haben. Weil natürlich wissen Menschen, die selbst eine psychische Erkrankung haben, am allerbesten, wo sie stigmatisiert werden und was es eigentlich bräuchte im System.

00:06:54: Hannah: Wenn wir mit dem Stigma-Thema arbeiten, ist es so, dass wir uns sehr bewusst sind, dass Stigma etwas ist, was leider natürlich kommt. Das heißt, es ist immer ein Kampf gegen die Intuition ein bisschen. Und davor sind auch nicht Leute gewappnet, die in diesem Bereich arbeiten. Also meine Mutter zum Beispiel ist klinische Psychologin und ich habe ewig gebraucht, bis ich irgendwelche Diagnosen bekommen habe und auch die Behandlung, die ich gebraucht habe. Deswegen versuchen wir mit den Inhalten, die wir vermitteln, vor allem über Social Media, möglichst diese Themen oder diese Bre--, diese Knackpunkte, um die es geht, auf eine Art zu vermitteln, die halt wirklich ankommt. Ähnlich wie Wahlsprüche bei Politikern, also das ist wirklich, das spielt so ein bisschen zusammen und es hat sich einfach gezeigt, dass das die beste Art ist, um wirklich dieses Wissen zu vermitteln, dass es bei den Leuten Klick macht und sie eine andere Sichtweise auf das Thema bekommen, als sie es sonst hätten.

00:07:51: Viki: Gibt es von eurem Gefühl her einen Unterschied zwischen verschiedenen Erkrankungen? Also ich kann mir vorstellen, zu manchen hat man vielleicht extrem viele Vorurteile oder hat schon von viel gehört, andere kennt man vielleicht gar nicht und andere sind vielleicht jetzt aktuell in Mode oder werden irgendwie mehr besprochen. Zumindest, das ist irgendwas, was jetzt nicht so eine schlechte Konnotation hat.

00:08:09: Ela: Das kennen wir doch alle. Also Burnout in unserer Leistungs gesellschaft: Geil, das hast du dir verdient. Na also, das hast du gut gemacht. Da hast du was richtig gemacht. Und dann gibt es andere psychische Erkrankungen, die wesentlich stigmatisierter noch sind. Also die Schizophrenie zum Beispiel. Oder eine bipolare Störung, Essstörungen auch. Aber wir könnten jetzt nicht sagen, dass irgendwelche Vorurteile auf irgendwelche Erkrankungen mehr zutreffen. Also zum Beispiel wenn wir jetzt die Schizophrenie nehmen, wenn die unbehandelt ist, dann kann es natürlich zu Verhalten kommen, was gefährlich ist, aber prinzipiell über alle psychische Erkrankungen genommen sind Menschen mit psychischer Erkrankung in der Regel Opfer von Gewalt. Und trotzdem schreiben wir es quasi allen Menschen mit psychischen Erkrankungen zu. Und wenn man jetzt Betroffene fragen würde na ja, also aus dem Potpourri der psychischen Erkrankungen, was für eine hättest du denn lieber gehabt. Keiner möchte irgendeine davon. Also in der einzelnen Auswirkung ist jede gleich schlimm.

00:09:05: Hannah: Ja, wir sehen vor allem, dass es - das ausschlaggebend dafür ist, wie sichtbar die Krankheit ist. Also es gibt psychische Erkrankungen, die sind versteckter, die fallen Außenstehenden nicht auf, wenn man die Zeichen nicht sieht. Aber in der Community, wenn wir Veranstaltungen machen, dann vermeiden wir es eigentlich grundsätzlich, das zu kategorisieren, das auch irgendwie einzuordnen, zu ranken, weil wir schon immer wieder gesehen haben, dass es aufgrund der mangelnden Ressourcen im System, aufgrund der fehlenden Behandlungsplätze auf allen Ebenen zu einem Wettbewerb kommt. In diesem Wettbewerb, wo nur die Leute, die am kränksten sind, Hilfe bekommen, ist es dann natürlich ein Problem, wenn man diese Krankheiten so kategorisiert.

00:09:49: Ela: Ja, voll. Also ich bin grad zum überlegen, mir ist glaube ich etwas runtergefallen: Aber ich finde es auch ganz spannend, so in der Außenwahrnehmung. In dieser Zuschreibung, einfach, gibt es ja auch Vorurteile, unterschiedliche, die dann zugeschrieben werden. Also mit so einer Depression bist du einfach faul und wenn du schizophren bist, dann gibt es für dich einfach keine Behandlungs-Chance. Also mit einer Depression hast du vielleicht noch ein bisschen Chance, dass du gesund wärst. Mit einer Schizophrenie kannst eigentlich, kannst du gleich einpacken. Und das stimmt nicht. Also das finde ich so wahnsinnig wichtig zu sagen, dass es einfach für alle Formen der psychischen Erkrankung einfach gute Behandlung gibt und dass da uns die Stigmatisierung noch mal ein besonderes Schnippchen schlägt, weil desto später wir in Behandlung kommen, desto schwieriger wird die Behandlung. Und da ist es halt ganz egal, ob ich jetzt irgendwie einen eitrigen Zahn hab, mir den Fuß gebrochen habe oder eine psychische Erkrankungen. Es ist halt nie schlau spät in Behandlung zu gehen. Und deswegen finde ich da auch ganz ganz schwierig und möchte es an dieser Stelle auch noch mal sagen: Egal welche psychische Erkrankung, es gibt Behandlung.

00:10:45: Viki: Kann ein Stigma theoretisch auch dazu führen, dass man gar nicht seine eigene Diagnose erkennt, weil man-- oder sich fehl-diganostiziert zum Beispiel? Also kommt das oft vor in eurer Erfahrung?

00:10:55: Hannah: Es hat natürlich in der Altersgruppe ein bisschen mit Identitätsfindung zu tun. Man möchte sich erklären, warum man sich so fühlt, wie man sich fühlt, warum man diese Symptome hat. Und eine Diagnose ist da ein Buzzword, wo man sich dann kategorisieren kann. Wenn wir davon sprechen, von Fehldiagnosen, dann ist es unterschiedlich. Also es ist nämlich auch unterschiedlich, wie ernst die Personen selber ihre eigene Diagnose nehmen. Ihre Selbstdiagnose. Es gibt Personen, die mehr so herumprobieren und schauen, ob das für sie passt. Ähnlich wie bei einer Identität, wo sie so schauen: Identifiziere ich mich mit dieser Erkrankung und mit den Symptomen die davon kommen oder nicht. Und das hat dann eben verschiedene Unterteilungen, wo es dann wirklich soweit kommt, dass die Personen sagen okay, ich möchte das jetzt offiziell mal bestätigt haben. Ich schaue mir an, wie das funktioniert. Meistens sind sie dann natürlich überfordert, weil das ein Prozess ist, der jetzt nicht sehr trivial ist. Aber das kommt auch vor, dass dann Leute wirklich diese offizielle Anerkennung suchen.

00:11:54: Ela: Ich sag immer, es gibt unterschiedliche Gründe für eine Diagnose. In der Krankenpflege-Schule hat eine Ausbilderin von mir was ganz, ganz Schönes gesagt, die hat gemeint: Wir behandeln Menschen und keine Diagnosen. Und das finde ich wahnsinnig wichtig, weil jede Erkrankung zeigt sich, genauso wie jeder Mensch individuell ist, einfach individuell. Und was wir nicht vergessen dürfen: Ich kann auch mehr Diagnosen haben. Genauso wie ich einen gebrochenen Zeh haben kann und Halsschmerzen, kann ich auch psychische Erkrankungen mehrere gleichzeitig haben. Also ich bin nicht DIE psychische Erkrankung. Warum wir sie aber brauchen – also natürlich kann es für viele Menschen auch eine Entlastung darstellen. So, jetzt habe ich endlich was. Jetzt weiß ich was es ist. Gerade wenn man schon jahrelang sucht und gleichzeitig kann es auch sein: Hey, ich identifiziere mich eher nicht damit oder ich möchte das auch gar nicht. Beides finde ich ist legitim. Wofür wir es aber brauchen, und da bin ich eine große Freundin von Diagnosen, ist, weil wir Leistung bekommen. Wir brauchen eine Diagnose, damit unser System, unsere ÖGK - wie auch immer, also ich glaube das ist überall gleich - irgendeine Leistung zur Verfügung stellt. Und wenn ich es mir zum Beispiel bei ganz jungen Menschen anschaue, macht es einen Unterschied, ob ich jetzt ADHS diagnostiziert habe und möglicherweise Unterstützung bekomm in der Klasse und anders behandelt werde von der Pädagogin oder nicht. Das ist für mich der große Unterschied. Genau.

00:13:06: Moritz: Wir bzw. ihr habt gerade viel über Diagnose gesprochen. Wie kommt man an so eine Diagnose? Bzw. Wer ist überhaupt befähigt so eine auszustellen?

00:13:16: Ela: Na Hanna, da würde ich dich zuerst mal bitten. Weil vor allen Dingen finde ich den Aspekt so spannend: Diagnose und Internetrecherche. Magst du da was dazu sagen?

00:13:26: Hannah: Die Algorithmen sind sehr, sehr gut. Von Instagram und TikTok. Bei mir in meinem Fall und ich kenne viele andere auch, bei denen es so war, zuerst hat mich TikTok diagnostiziert, also, bevor irgendjemand anderes gesagt hat, war es Tiktok und die For You-Page. Bei anderen psychischen Erkrankungen ist es so, dass meistens eben der Ablauf so ist, dass man von dem Hausarzt oder von dem Therapeuten oder der Therapeutin eine Überweisung bekommt an die klinische Psychologie, wo man dann eben meistens am Computer, aber auch im Gespräch verschiedene Fragen beantworten muss. Erzählen muss, etc. vielleicht sogar ein paar Spiele spielen muss. Und dieser Befund kommt dann zu einem Psychiater, das heißt, da geht man danach zum Psychiater. Der oder die Psychiater*in sind Ärzte und nur Ärzte können eigentlich diese Diagnosen stellen und die berufen sich dann auf diese Befunde von der klinischen Psychologie.

00:14:35: Ela: Ich möchte ein bisschen ergänzen, weil, verzeih, aber es ist nicht ganz richtig. Es dürfen auch Psychotherapeut*innen, klinische Psycholog*innen Diagnosen stellen, es darf auch der Hausarzt eine Diagnose stellen. Die Frage ist immer ein bisschen: Wofür brauche ich‘s? Und wie wichtig ist es, auch hier genau zu differenzieren? Weil wir haben hier auch unterschiedliche Kosten, also eine ausführliche Diagnostik bei einer klinischen Psychologin, abgesehen von den Wartezeiten, ist halt auch eine aufwendige Sache. Ich würde auch immer hinterfragen, wofür möchte ich denn eine Diagnose haben? Wer wünscht sich das wirklich und wofür brauche ich es? Weil ich stelle in meiner Praxis auch Diagnosen, das heißt das kann ich auch für die ÖGK machen, das kann ich auch für den Arbeitgeber machen. Wobei da würde man es wahrscheinlich nicht draufschreiben wollen. Das ist schon auch möglich, möchte ich jetzt aber, wir nennen das Differenzial Diagnostik zum Beispiel, wo wir uns wirklich nicht sicher sind, mehrere Verdachtsmomente haben, dann wird die Diagnostik einfach ausführlicher. Da müssen wir genauer hinschauen. Prinzipiell macht es immer Sinn, wenn man mit einer Diagnose nicht zufrieden ist, noch mal drauf zu schauen. Denn manchmal ist es so, dass man eine Momentaufnahme kriegt. Also ich möchte euch gern ein Beispiel geben. Und zwar ist es jetzt eine Person, die schläft schon länger schlecht, die hat so ganz trübe Gedanken. Die Emotionen sind eher flach, man hat keine Lust mehr rauszugehen, man mag Freund*innen nicht mehr treffen, man hat kaum Antrieb, in die Arbeit zu gehen. Und dann wird diese Person bei einem Arzt vorstellig und kriegt einmal eine „Depression“. Und wir haben aber jetzt dann zum Beispiel in vier Wochen ein ganz anderes Zustandsbild und die Person ist total gut gelaunt und hüpft rum und freut sich ihres Lebens. Und die Menschen rundherum haben aber schon so ein bisschen den Verdacht: „Ho, hallo. Also so gut gelaunt, so auf die Dauer kommt mir ein bisschen eigenartig vor.“ Da könnten wir zum Beispiel eine bipolare Erkrankung haben, das heißt zwischen zwei Polen. Einfach todtraurig, tief betrübt und himmelhoch-jauchzend, wie man es so schön im Deutschen beschreibt. Und da wird sich die Diagnose dann zum Beispiel verändern und die Behandlung auch. Also das ist das Wichtigste daran.

00:16:17: Moritz: Also ist eine Diagnose halt dann auch vor allem für die Behandlung dann wichtig, weil unterschiedliche Erkrankungen, ja dann unterschiedlich behandelt werden müssen?

00:16:25: Ela: Genau.

00:16:27: Hannah: Vielleicht noch zu dem Thema: Das Thema Diagnosen beschäftigt auch die Politik, ein bisschen. In letzter Zeit, wenn wir mit dem Gesundheitsministerium sprechen über geplante Änderungen, dann versuchen wir immer, dieses „Therapieplatz auf Kasse für alle“ zu pushen. Und in dem Zusammenhang wurden auch Kompromisse gefunden. Und einer davon zum Beispiel ist Novellierungen der verschiedenen Berufsgruppengesetze und des allgemeinen Versicherungsgesetzes. Im Zuge von dem soll es so sein, dass in Zukunft eben die Diagnosen, die Therapeuten stellen, größeres Gewicht bekommen und die auch mehr Befugnisse bekommen in diese Richtung. Und auf der anderen Seite, das ist schon passiert, wird dann die klinische Psychologie, die im Gegenzug in einem eingeschränkten Rahmen auch Therapieangebote bereitstellen darf.

00:17:15: Ela: Vollkommen richtig. Genau. Und da hängt aber immer so ein, ich würde sagen, so ein Rattenschwanz dran. Man weiß irgendwie, was sollte man tun für die Menschen. Und das ist ganz wichtig. Und dann schaut man sich die Politik an und kommt drauf, das ist irgendwie, weiß ich nicht, in 15 Gesetzen drinnen und dann muss das alles umgeschrieben werden und dann braucht man Begutachtungsfristen und was noch immer. Und das sind wir leider um unsere Zeit hinterher. Also wir sollten da eigentlich schon viel, viel weiter sein. Und natürlich wünschen wir uns das einfach genauso wie wenn wir uns - ich, ich bleib dabei – das Bein brechen, nicht einen Antrag stellen müssen, ein halbes Jahr warten und dann kriegen wir Behandlung, sondern dass wir einfach binnen drei Wochen, würde ich jetzt mal sagen, unsere Psychotherapeut*in, unsere Psycholog*in haben unseren Facharzt, unsere Fachärztin haben und auch Auswahl haben. Also das ist mir auch noch ganz besonders wichtig, weil ich weiß nicht, wie es euch geht: Immer alle zufrieden mit euren Hausärzt*innen, Zahnärzt*innen immer Top Leistung?

00:17:55: Moritz: hält sich, hält sich.

00:18:01: Ela: Also ich muss sagen, ich habe schon oftmals gewechselt, weil ich dann mit einer Behandlung nicht zufrieden war oder weil mir, gut, beim Zahnarzt ist vielleicht nicht ganz so wichtig, aber mir jemand nicht so sympathisch war. Und bei der Psychotherapie oder bei einer Psychologin oder auch beim Facharzt, Fachärztin fände ich es halt wirklich wichtig. Und das zeigt auch die Wissenschaft. Dass wir die Person mögen, dass wir der auch zutrauen, dass wir da ein gutes Verhältnis haben. Und ich sage immer: Bitte geht es woanders hin, wenn ihr kein gutes Gefühl habt.

00:18:37: Viki: Ihr habt es jetzt schon so ein bisschen geredet von der Zusammenarbeit mit der Politik und eben Aktivismus. Habt ihr das Gefühl, dass es da auch ein strukturelles Stigma gibt. Also dass einfach dieses Thema nicht so beachtet wird, wie vielleicht andere Themen auch von politischer Seite?

00:18:50: Hannah: Definitiv. Seit einiger Zeit ist das eine-- Also man muss bedenken, von der Bundesjugendvertretung wissen wir: Neben Klimawandel ist mental health das größte Thema, das die Jugend interessiert. Das heißt, das ist auch irgendwie eine Nische gewesen, die politisch einen Platz bekommen hat. Und es gibt ein paar Abgeordnete, die sich das auch-- mit dieser Message sich an die Bevölkerung wenden und eben das zu ihrem Spezialgebiet gemacht haben. Sage ich jetzt mal. Wenn wir uns aber jetzt die Vergangenheit ansehen und die Anträge, die eingebracht worden sind im Nationalrat und auch das Volksbegehren, was es zum Beispiel 2019 gegeben hat, dann sehen wir schon, dass sich in der Praxis nicht wirklich was tut. Also wenn wir zu Meetings mit Entscheidungsträger und Politikern kommen, dann sind es teilweise sogar so wirklich PR-Meetings, wo man uns hinsetzt und uns dann tolle Präsentationen gibt, was nicht alles getan wird und so. Und da sehen wir jetzt eben, vor allem „Gesund aus der Kirse“ wird jedes Mal als Beispiel gebracht. Für uns ist es nicht flächendeckend genug und auch schon ein bisschen Schnee von gestern, weil es halt schon ein paar Jahre jetzt existiert. Aber damit haben wir eben ein bisschen zu kämpfen.

00:20:01: Ela: Also das war einfach nie ein Thema, mit dem man Wahlen gewonnen hat, sage ich mal so salopp. Also wenn ihr euch anschaut, das Auto und Benzin etc. Also da trifft man die Österreicher*innen, das ist geil. Also das Auto irgendwie: gutes Wahlkampfthema. Psychische Gesundheit war es bislang nicht. Ich habe aber das Gefühl, seit Corona schon. Und auch seit die Jugend so aktiv ist und auch im Internet dem Ganzen viel mehr Raum gegeben wird und jetzt um Vorsicht: Werbeeinschaltung wenn man so möchte oder bzw. ihr wisst ja wo ich arbeite, aber ich bin schon ein großer Fan der Stadt Wien. Also da habe ich das Gefühl auch im Bundesländervergleich, da bewegt sich unglaublich viel. Noch immer zu langsam, keine Frage, weil da könnt man-- also ist aus meiner Sicht noch ein Fass ohne Boden, wie viel Ressourcen wir da reinstecken könnten. Aber es tut sich was und das macht mich sehr, sehr froh,

00:20:51: Viki: Du hast ja vorher schon erwähnt, dass du auch bei einem Schulprojekt mit dabei bist, BASTA heißt das. Magst du das vielleicht kurz vorstellen, was du da genau macht?

00:20:49: Ela: Ja, super gerne! Eines meiner Lieblingsprojekte, das ist übrigens auch in Kooperation mit der Österreichischen Gesundheitskasse. Also die zahlen da auch dafür, das ist ganz fein. Und da gehen wir in Schulklassen. Und zwar ab der zehnten Schulstufe, darunter nicht. Und da gibt es ein paar Teile, die werden vorher in der Schule geleistet, quasi so Module, da kommen so Lernpakete von uns. Und das Beste, das Geilste – ich weiß nicht, ich glaube, ich hab das heute schon ein paar Mal gesagt, aber ich bleibt dabei – ist, wenn Menschen mit psychischer Erkrankung dann in die Schulklassen gehen und das machen wir für zwei Stunden. Da kommt ein sogenanntes Tandem. Das ist eine Person, die hat den fachlichen Hintergrund, also zum Beispiel die Krankenpfleger*in oder eben Psychotherapeut*in, und eine Person mit psychischer Erkrankung, die die schon länger hat und gut in Behandlung ist. Also gute Kontrolle, wenn man so will, über die eigene Erkrankung hat. Und das große Bedürfnis, jungen Menschen von diesen Leben mit der Erkrankung zu erzählen. Und da haben wir zwei Stunden Zeit, was in der Regel zu kurz ist. Also wir evaluieren das Ganze, das heißt, wir haben dann einen Fragebogen am Schluss und die Schüler innen melden dann zurück, wie war's und was hätten sie gerne noch? Und da kommt halt immer: großartig war es, aber zu kurz. Was ich verstehen kann. Und da wird dann erzählt, wie das so aussieht, also wann man die Diagnose bekommen hat oder den Verdacht hatte. Wie das Umfeld reagiert hat, wie es mit Freund*innen war, was so der Tiefpunkt war, was man sich wünschen würd. Und die Schüler*innen stellen Fragen dazu. Und das ist immer ein ganz ein feiner Austausch. Und was passiert-– also was auch das Ziel ist von den ganzen, wir machen es jetzt nicht, weil es so schön ist. Dafür würden wir auch kein Geld kriegen, nur weil es so schön ist, sondern was passiert ist, dass wir A) vermitteln: hey, es gibt Hilfe. Also das Kennenlernen von Angeboten ist immer ein wichtiger Teil des Ganzen und auch B) schau her, ganz normaler Mensch. Und das erreichen wir eben nur über den Kontakt. Nur wenn man tatsächlich Zeit hat, mit jemanden zu sprechen, Fragen zu stellen, die einem wichtig sind und auch ehrliche Antworten zu bekommen und das ist und wird mein Lieblingsprojekt bleiben – hoffentlich noch ganz lange.

00:23:05: Moritz: Bei so einem Workshop, wenn ihr dann in den Schulen seid. Was sind so Fragen, die von den Schüler*innen auftauchen?

00:23:12: Ela: Da gibt es großartige Fragen. Also ich habe ab und zu noch das Vergnügen, dass ich mitgehen darf. Leider sehr, sehr selten. Ich hoffe mal gemeinsam mit der Hannah, das haben wir schon besprochen. Ja, also beste Frage, finde ich, ist nach wie vor, das ist eher so eine Fachexpert*innen-Frage, so: Kann ich vom Kiffen eine Schizophrenie bekommen? „Ja, aber“ ist da die Antwort. Also, es ist gar nicht so einfach zu beantworten, weil gewisse Menschen haben einfach eine höhere, wir nennen das Vulnerabilität, also Verletzlichkeit. Das heißt, es ist wahrscheinlicher, dass man jetzt zum Beispiel aufgrund von Alkohol, Substanzkonsum etc. einfach in einen psychischen Zustand kommt, der unangenehm ist, der gefährlich sein kann und von dem wir uns nicht mehr gut erholen. Dass wären jetzt so Fragen die, die die Fach-Expert*innen beantworten. Dann finde ich es auch immer ganz schön, wenn man Schüler*innen auch einfach sagen: Darf ich dich das fragen? Also das ist auch so wie: Wie ging's in Beziehung? Wie war das mit deiner Freundin? Also jetzt an die Erfahrungsexpert*innen. Wie du ihr erzählt hast, du hast jetzt eine psychische Erkrankung? Und auch ganz, ganz intime Dinge im Sinne von: Möchtest du noch Kinder haben, traust du es dir zu? Und ich finde, das sind ganz relevante Fragen. Also ganz, ganz wichtig. Und es gibt in der Regel keine Frage, die nicht gestellt werden darf. Also auch Suizid kann ein Thema sein. Wirklich all die, auch die düsteren Ecken, wo wir eigentlich nicht so gern hinschauen, die aber auch viel Gutes haben, wenn wir die mal ausleuchten.

00:24:34: Viki: Es klingt auf jeden Fall nach voll dem spannenden Projekt, also ich hätte das auch urgerne in der Schule gehabt das ich hab das auch gerne in der Schule gehabt.

00:24:40: Ela: Du, also auch du kannst gerne mitkommen. Ich habe das Vergnügen, immer wieder, dass ich Menschen einladen darf.

00:24:45: Viki: Da komme ich gerne drauf zurück. Hannah, ich wollte dich noch fragen. Wir haben am Anfang ganz kurz ein bisschen von Change für the Youth schon gehört, aber magst du vielleicht noch genauer beschreiben. Ihr seid eben viel auf Social Media aktiv. Aber wie groß ist euer Team? Was, Was macht ihr genau? Wie kann man sich die Arbeit so vorstellen?

00:25:02: Hannah: Ja. Wir haben verschiedene Ebenen, also im engeren Kreis sind es so 20 bis 30 Personen, wobei die jüngste Person 14 ist und ich bin die älteste. Und im größeren Rahmen sind wir so 200. Wir sind basisdemokratisch aufgestellt, Das heißt, es geht viel um Entscheidungen treffen, es geht viel um Absprechen, wie gewisse Interviews geführt werden, zu welchen Terminen man hingeht und zu welchen nicht und in welche Richtung man sich bemühen möchte, was Networking angeht. Mit Politikern und Entscheidungsträgern zum Beispiel. Dann kommen natürlich auch dazu die Themen, die uns beschäftigen, die die Community beschäftigen, wo wir gegenseitig Erfahrungen austauschen und auch versuchen, irgendwie zu einer Lösung zu kommen. Weil wir sehen, dass die Messlatte für den Aktivismus enorm gestiegen ist. Wenn wir zu Entscheidungsträgern hingehen, dann ist schon die Erwartung in gewisser Weise, da, dass wir eine Vorarbeit geleistet haben, dass wir uns mit der Materie auskennen und da auch in die technischen, bürokratischen Details reinschauen und ein bisschen eine Ahnung davon haben. Das ist viel Arbeit, und das verschlingt derzeit so die meiste Zeit bei uns.

00:26:07: Viki: Wie lange gibt es das Projekt schon? Wie bist du dazugekommen? Das würde mich noch interessieren.

00:26:12: Hannah: Die Organisation gibt es seit März 23, also eineinhalb Jahre circa und ist gegründet worden von einer Freundes-Gruppe, die viel mit psychischen Erkrankungen zu kämpfen hat und in der es eben zu tragischen Vorfällen gekommen ist. Und das war so quasi das ausschlaggebende Ereignis, wo wir dann gesagt haben: Nein, da muss sich etwas ändern und wenn wir es nicht machen, macht es keiner. Und dann haben wir das eben aufgestellt auf Social Media und das ist dann auch sehr schnell sehr explodiert. Und dann war auch schnell die erste Demo geplant. Und das Schöne ist eben, bei unserer unsere Community, ist, dass wirklich alle Betroffenen von den verschiedensten sozialen Schichten kommen, von den verschiedensten Ausbildungsbereichen und, dass man da wirklich die Talente von jeder einzelnen Person nutzen kann, um was tolles draus zu machen. Und das ist auch etwas, was dann unsere, unsre erste Demonstration vor allem so schön gemacht hat, dass wir eben wirklich das hochprofessionell aufziehen konnten mit gedruckten Bannern und allen möglichen Flyern und Stickern und so. Weil wir eben Personen hatten, die zufälligerweise sich mit dem ausgekannt haben.

00:27:17: Viki: Voll cool. Und auch voll cool, dass ihr ja schon so groß seid eigentlich nach so kurzer Zeit, also dass das so rasant gewachsen ist.

00:27:23: Moritz: Wie sind eigentlich so die Reaktionen auf die Arbeit, die ihr macht, also so von außerhalb? Gibt es da viel negatives Feedback?

00:27:27: Hannah: Nein, gar nicht.

00:27:28: Moritz: Sehr cool

00:27:29: Hannah: Gar nicht.

00:27:30: Moritz: Das ist sehr schön

00:27:31: Hannah: Wir haben durchwegs positives Feedback. Man muss dazu sagen, soweit wir das wissen, soweit wir informiert sind, gibt es in Europa nur eine, eine einzige weitere Organisation, die ähnliche Dinge wie wir machen. Das führt natürlich dazu, dass wir einen sehr guten Zugang zu Entscheidungsträgern haben, weil es gibt keine andere Organisation, die die einladen können für solche Themen und das führt auch dazu, dass wir in sehr vielen wichtigen Expertengremien von Ministerien und anderen Einrichtungen sitzen. Von der von politischer Seite her ist es Feedback durch--, also wie schon gesagt, durchwegs positiv. Es ist natürlich so, dass wir schon ein bisschen Stigma sehen. Also wir fühlen uns manchmal ein bisschen zu wenig ernst genommen. Wir fühlen uns ein bisschen ausgenutzt, manchmal für Pressefoto, aber ansonsten wissen wir es eben sehr zu schätzen, dass wir in die Prozesse teilweise auch eingebunden sind. Ein Beispiel davon ist die Steiermark, wo wir öfters eingeladen wurden nach Graz für Expertengremien. Und die haben sich super gefreut, weil das Thema der psychischen Gesundheit war das einzige Thema, wo sie alle Parteien an einen Tisch gebracht haben. Sonst hat immer mindestens eine Partei gesagt: Nein, machen wir nicht. Und da haben sich wirklich alle zusammengesetzt und konstruktiv an einer Lösung gearbeitet. Und das zeigt so ein bisschen, wie unkontrovers dieses Thema eigentlich in der Öffentlichkeit ist und zeigt wirklich, wie diese öffentliche Meinung halt überwiegend ist: Ja, da gibt es ein Problem und da müssen wir was tun.

00:29:11: Viki: Eigentlich ist es eh total absurd, dass es nicht viel größer thematisiert wird, weil es eben einfach durch alle Schichten alle Menschen betrifft. Und das kennt doch sicher jede Person eine Person, die schon mal eine psychische Erkrankung hat. Was könntet ihr uns oder den Zuhörern und Zuhörerinnen raten? Oder was, was können wir machen, damit wir zur Entstigmatisierung beitragen?

00:29:35: Ela: Wenn ich darf, fange ich an ähm, da habe ich ein bisschen drüber nachgedacht. Ela: Klar, drüber reden, ganz, ganz offen. Und gleichzeitig denke ich mir muss aber auch nicht jeder. Also gerade wenn man Betroffener, Betroffene ist, ist es so: Traue ich mir ein Coming out auch zu. Und wo ist der Ort, wo ich drüber rede? Wo ist mein Safe Space auch? Also ich freue mich über jede Person, die da offen drüber spricht. Es sollt sich jetzt aber niemand irgendwie das Packerl auch noch umhängen und sagen ich muss jetzt möglichst entstigmatisieren sein, wenn es mir nicht gut geht. Das finde ich ganz wichtig. Also, das ist immer eine persönliche Entscheidung und es gibt Arbeitsplätze, da finde ich, kann man es gut sagen. Und dann gibt es auch Dienststellen, da würde ich es einfach nicht sagen. Da würde ich mich dafür entscheiden, lieber nichts zu sagen. Genau, was ich mir wünschen würde, tatsächlich wünschen würde, ist, dass wir in diesen Aktivismus der Beschwerde auch ein bisschen mehr tun. Also überall, wo es uns passiert, dass wir nicht gut behandelt werden, dass wir eine Ressource nicht kriegen. Ich finde jedes E-Mail zählt, ehrlicherweise. Und es ist immer besser, sich zu äußern, als wie nicht zu äußern. Immer gerade, wenn es um Ungerechtigkeit geht. Und so ganz fürs Persönliche wünsche ich mir, dass wir, wenn wir jemanden fragen, wie es der Person geht, dann auch wirklich zuhören wollen. Und es ist legitim, dass man mal nicht zuhören mag. Aber dann sollte man sich vielleicht auch fragen: Wie gehe ich denn auf die andere Person zu? Und das zweite ist so, also abschließend, weil meine Wunschliste wäre lang, das sage ich euch auch. Also, da würden wir auch noch lange dasitzen, ist dieses: wenn ich eine, eine Freundin, einem Freund, eine Person in meinem familiären Freundeskreis, wie auch immer und ich weiß, dass diese Person eine psychische Erkrankung hat und die kann jetzt unter Anführungszeichen mal wieder nicht. Und es verunmöglicht etwas, dabei zu sein, wie auch immer. Und das kann ja manchmal, das kann ja auch traurig machen oder auch wütend machen. Aber dann bitte die Wut und die Traurigkeit an die Krankheit adressieren und nicht sagen: Hey, du bist ja nie dabei, mit dir kann man nichts machen. Sondern zu sagen: Boah, ich finde es wirklich auch schwierig mit deiner Erkrankungen. Das nimmt was raus von dem Druck auf die Person.

00:31:22: Hannah: Für mich persönlich ist es öfters so, dass ich ein Problem habe, mich eben sehr, sehr gut in die Lage der anderen Person hineinversetzen zu können. Das heißt für mich heißt Entstigmatisierung vor allem in meinem Freundeskreis, dass ich mir bewusst mach, dass die Erfahrungen die andere Personen machen, die meine Freund*innen machen meine Vorstellungskraft übersteigen und dass ich dann deswegen ihre Probleme ernst nehme. Und meiner Erfahrung nach kommt dann der Rest von ganz alleine. Sobald ich die Probleme ernst nehme und die Gefühle, die die anderen haben, ernst nehme, ohne die zu hinterfragen, dann kommt auch eine gewisse Empathie auf.

00:32:15: Viki: Okay, ja, dann haben wir ja heute wirklich viele, extrem viele unterschiedliche Themen aufgemacht. Also einerseits merkt man vor allem jetzt auch nach der Corona-Pandemie, aber davor natürlich auch schon: Der Bedarf ist da. Und, was ich irgendwie cool fand, auch alle Parteien sind sich da wirklich mal ausnahmsweise einer Meinung, dass der Bedarf da ist. Es gibt schon einige Projekte, die am Laufen sind, die auch, einige sehr gut funktionieren. Ein paar kann man vielleicht noch optimieren und auf jeden Fall ist so ein bisschen der Wille da der Politik, dass man ein bisschen was macht. Aber es fehlt natürlich noch, es ist noch sehr viel Luft nach oben. Ich finde es voll cool, was ihr macht. Also natürlich auch das Change for the Youth, dass da alle ehrenamtlich mitarbeiten und dass es erst so kurz existiert und irgendwie schon so viel entstanden ist. Extrem cool. Ja dann danke, Danke euch fürs Kommen, für das spannende Gespräch und danke euch allen, die zugehört haben oder zugeschaut haben. Ela, ich glaube, du wolltest noch was Anderes loswerden.

00:32:53: Ela: Dankeschön. Es ist ein bisschen – wie sagt man - Cringe. Aber Konsti, das ist mein 8-jähriger. Schickt dir viele, viele Bussis. Und Mama ist im Fernsehen.

00:33:10: Alle: lachen

00:33:27: Alexandra: Es rauscht weiter, hör‘ in die nächste Folge rein und besuch uns gerne auf Instagram. @_rauschzeit_ oder @darüberredenwir. Reden hilft: In Wien ist die Sorgenhotline Wien für jede Art von Sorgen zwischen 8.00 und 20.00 Uhr erreichbar. Notiere dir die Nummer: 01/4000 53000.

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